Katerra - Wie eine Silicon Valley-Firma den Bau aufmischt

Die digitale Plattform Katerra aus Menlo Park zeigt, wie die Branche durch die IT-Industrie revolutioniert werden könnte.

Die derzeitige Auftragslage der deutschen Bauindustrie mit laut Statistischem Bundesamt stabilen 399 Milliarden Euro Umsatz – Haupt- und Nebengewerbe – ist ausgezeichnet. Doch die Auslastung täuscht über eine beunruhigende Tatsache hinweg: Das Baugewerbe hat ein Produktivitätsproblem. Wie eine McKinsey-Studie1 vorrechnet, wuchs ihre globale Produktivität in den vergangenen 20 Jahren jährlich um schwache 1 Prozent, während beispielsweise die verarbeitende Industrie um durchschnittlich 3,6 Prozent an Produktivität zulegte – es ist der niedrigste Wert aller Branchen im Vergleich.

McKinsey sagt dazu: Würde die Bauindustrie Massenproduktionsverfahren einführen und beispielsweise standardisierte Gebäudeteile modular in Fabriken produzieren, könnten zumindest manche Player der Branche ihre Produktivität um das Fünf- bis Zehnfache steigern.

Angesichts dieser Werte wundert es nicht, wenn digitale Herausforderer neu auf den Markt treten. Sie wittern die gigantischen Chancen, mit digitalen Technologien und einem Verständnis für Daten einen Produktivitäts-Boom auslösen zu können – und entsprechendes Business zu generieren. Bestes Beispiel: Katerra, eine Firma aus Menlo Park (dem Sitz von Facebook), will der Welt zeigen, wie das geht. Das Unternehmen wurde 2015 gegründet und hat in wenigen Jahren 1,3 Milliarden Dollar bei diversen Investoren eingesammelt - zuletzt 856 Millionen Dollar bei Masayoshi Son - der japanischen Investoren-Legende. Dessen Softbank Vision Fund investiert nicht nur in die Bauplattform aus Silicon Valley, sondern steckte insgesamt viele Milliarden Dollar in diverse Immobilien-Startups und Proptechs wie beispielsweise WeWork, View (smarte Fenster) oder Oyo (Hotelplattform).

 

Zwar hat der japanische Technologie-Investor nach der kostspieligen Rettungsaktion für den amerikanischen Büro-Vermieter WeWork und anderen Fehlschlägen zum ersten Mal seit 14 Jahren einen Quartalsverlust eingefahren, aber: Diese Zahlen muss man relativieren. Denn die Strategie des Vision Fund berücksichtigt in erster Linie nicht den Unternehmenswert klassischer Prägung, sondern den Wert von Daten. All die gekauften Unternehmen versorgen Softbank mit Daten und – noch viel wichtiger – den daraus gewonnenen Informationen. Bei Betrachtung des Beteiligungsportfolios von Softbank wird schnell klar: Diese Daten ergänzen sich hervorragend und erzeugen ein wertvolles Gesamtbild. Nicht ohne Grund beschreibt Masayoshi Son seine Portfolio-Strategie mit dem japanischen Sprichwort „gun-senryaku“, was so viel heißt, wie ein „Vogelschwarm, der in Informationen fliegt“. Der Economist nennt solche Unternehmen „Daten-Profis“ und hat nachgewiesen, dass diese im Schnitt eine stärkere finanzielle Performance als sogenannte Daten-Verschwender aufweisen. Also Unternehmen, die Daten sammeln, diese aber nicht ausreichend aggregieren, analysieren und anschließend nutzen.

Katerra-Gründer Michael Marks ist zudem kein Tech-Hallodri, sondern kann auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen. Er war beispielsweise Chef des global operierenden Elektronikkonzerns Flextronics. Auch bei Tesla, dem Hersteller von Elektroautos, saß er in der Chefetage. Für seine Bau-Plattform arbeiten inzwischen mehr als 7000 Mitarbeiter, darunter über 100 Architekten und mindestens 200 Software-Entwickler. Katerra behauptet, die Produktivität von Bauvorhaben um mehr als 50 Prozent steigern zu können und rüttelt damit die gesamte Branche auf. Das Unternehmen will bereits im kommenden Jahr Jahres einen operativen Gewinn erzielen und seinen Umsatz auf rund 4 Milliarden Dollar verdoppeln. Zum Vergleich mit hiesigen Unternehmen: Die Bielefelder Goldbeck kommt auf 2,93 Milliarden Euro (2018/2019), Max Bögl auf 1,7 Milliarden.

 

Das Plattform-Team als Bauherr

Was heißt Katerra: Die Tech-Firma hat eine integrierte Technologie-Plattform aufgebaut, über die sie alle Aufgaben eines Neubau-Vorhabens zusammenführt. Das Katerra-Team beschafft Material und produziert das komplette Projekt - von architektonischer Planung, Innenarchitektur und Bauplanung über die Integration von Herstellern, der Produktion von Fertigteilen bis zur schlüsselfertigen Montage auf der Baustelle.

Und darüber hinaus: Von Katerra realisierte Bauvorhaben enden keineswegs mit der Montage. Die Gebäude werden mit Sensoren ausgestattet, die den Zustand des Hauses überwachen. Die von den Sensoren gesammelten Daten fließen bei Katerra zusammen und erlauben ein smartes Management der Gebäude im Betrieb (siehe folgende Grafik).

 

Dieser Ansatz bietet zwei zentrale Vorteile

  1. Die Datenanalyse in der Baubranche kann genutzt werden, um zukünftige Bauvorhaben zu optimieren
  2. Katerra kann neben der Transaktionsgebühr für die Erstellung des Gebäudes eine zweite Ertragsquelle erschließen, nämlich den Betrieb oder das Management der Gebäude
     

Dezentrale Massenproduktion von Standard-Teilen

Darüber hinaus übernimmt Katerra die Produktion standardisierter Gebäudeteile. Die komplettierten Module fertigt das Unternehmen in firmeneigenen Fabriken und liefert sie von dort an die diversen Baustellen. Neuester Clou: Eine Fabrik für Brettsperrholz (Cross Laminated Timber, CLT) im Bundesstatt Washigton, die nach Katerras Angaben vom Volumen her größte derartige Fabrik Nordamerikas. Dort wird ein „vollständig erneuerbares” Strukturbaumaterial hergestellt, das Kohlenstoff für die gesamte Lebensdauer eines Gebäudes binden soll „und anstelle von Stahl und Beton in Gebäuden mit bis zu 18 Stockwerken verwendet werden kann”, so heißt es.

 

Vernetzung und intelligentes Datenmanagement in der Bauwirtschaft

Das gesamte Prozessmanagement von Katerra läuft zudem datenbasiert und softwaregetrieben ab. Ziel ist es beispielsweise, das Building Information Modeling (BIM)-Tool - das alle relevanten Bauwerksdaten digital erfasst und Projektbeteiligten zur Verfügung stellt - mit der gesamten Lieferkette zu verknüpfen. Daten über Grundstücksbewertung, Finanzplanung, Massen und Stückzahlen oder Design und Ausstattung, die als Grundlage zur Kostenkalkulation dienen, werden automatisch abgeglichen. Darüber hinaus enthält das von Katerra genutzte Systeme Apollo auch die Funktionen des klassischen Immobilien-Lebenszyklus-Management (ILM) sowie beispielsweise Module für Konstruktion, Budgetierung oder Dokumentation. Offene Schnittstellen (APIs) sorgen dafür, dass sich das Produkt zudem an Drittanbieter-Lösungen anflanschen lässt.

Fabriken und Baustellen werden verknüpft, um Bedarfe zu identifizieren, Bestellungen zu bündeln und die Produktion mit dem gesamten Warenwirtschaftssystem zu verbinden. Häuser sollen mit Sensoren ausgestattet werden. So können Gebäude technisch überwacht werden, um Ersatzteile rechtzeitig zu liefern und andere Dienstleistungen für die Gebäudeeigentümer anzubieten. Zudem erlangt er die Hoheit über die Serviceaufträge.

Weil die Prozesse viel schlanker, schneller und preiswerter sind, lassen sich deutliche höhere Margen realisieren, zudem läuft das Projekt deutlich schneller ab.

Einige Unternehmen in Deutschland und Europa sind ebenso erste Schritte auf diesem Weg gegangen. Die deutsche Heizungs-Plattform Thermondo zählt dazu, ebenso die Rigaer Firma Forta Pro, die sich auf die Herstellung standardisierter Gebäudeteile konzentriert. Auch Goldbeck – 2016 vom Magazin brand eins zum Innovator des Jahres gekürt – geht mit seinem schlüsselfertigen Bauen in diese Richtung, genauso wie die oberpfälzische Firmengruppe Max Bögl oder der inhabergeführte Projektentwickler Dornieden.

 

Fazit für die Bauindustrie

Katerra zeigt, was auf die deutsche Bauindustrie noch zukommen kann – zukommen wird. Auch wenn sich dieses Beispiel sicher nicht eins-zu-eins auf die hiesigen Verhältnisse übertragen lässt, sollten sich Unternehmen darauf einstellen und schon jetzt eine Antwort auf ähnliche Player zu finden. Die Initiative Vernetzt Digital ist ein Schritt in diese Richtung, denn nur in einer gemeinschaftliche Bündelung der Kräfte lässt sich Katerra, Thermondo & und weiteren digitalen Unternehmen der Baubranche Paroli bieten.


1https://www.mckinsey.com/de/news/presse/mckinsey-studie-produktivitat-der-baubranche-in-deutschland-stagniert

 

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